Wilhelm Keitel
Biografische Skizze zu Hitlers OKW-Chef Wilhelm Keitel. Von René Lindenau
Seine Militärlaufbahn begann er 1901 als Fähnrich. Unrühmlich enden sollte er 1946 als Generalfeldmarschall, vom Internationalen Militärtribunal in Nürnberg zum Tode verurteilt. Die Rede ist von Wilhelm Keitel.
Geboren wurde er am 22. September 1882 in Helmscherode. Er war der älteste Sohn des Gutsbesitzers Carl Keitel. Überlieferungen zufolge wollte er eigentlich gerne Landwirt statt Offizier werden. So sollte Karl Böhm-Tettelbach bekunden: „Er war ein kräftiger, bäuerlicher Typ, denn er stammte ja letzten Endes aus der Landwirtschaft. Er wäre gern Landwirt geworden und nicht General“ (siehe Guido Knopp Hitlers Krieger, Bertelsmann Verlag 1998, Seite 123). Die erste Sprosse seiner Karriereleiter erklomm er als Fahnenjunker im Niedersächsischen Feldartillerie-Regiment 46 in Wolfenbüttel, 1902 wurde er Leutnant. Ab 1908 diente der verhinderte Landwirt als Regimentsadjutant. Den Ersten Weltkrieg überlebte er als Hauptmann in verschiedenen Dienststellungen; als Batteriechef und in mehreren Generalstabsverwendungen (ohne die übliche Generalstabsausbildung). Zum Einsatz kam Keitel in den Schlachten von Namur, an der Marne, in den Vogesen, in Verdun an der Ostfront und schließlich in Flandern. Ein Granatsplitter im rechten Arm und zwölf Kriegsauszeichnungen sollten der Ausweis von Keitels erster Kriegsverwendung sein.
Die Jahre bis zum Zweiten Weltkrieg machte er in der Reichswehr weiter Karriere. Seinen Sold verdiente sich der Heeresoffizier alsdann als Taktiklehrer an der Kavallerieschule in Hannover und bei Stabsarbeit im 6. (Preußischen) Artillerie Regiment. Von 1925 bis 1927 war Keitel Gruppenleiter in der Heeres-Organisationsabteilung (T 2) im Truppenamt. 1927 wurde Keitel zum Kommandeur der II. Abteilung des 6. (Preußischen) Artillerie-Regiments ernannt. Kurze Zeit später kehrte er wieder ins Reichswehrministerium zurück (1929 ‑1933), diesmal aber als Abteilungschef „seiner“ T 2. Auf diesem Posten beteiligte sich „Hitlers Krieger“ (gleichnamiges Buch von Guido Knopp, Bertelsmann Verlag, 1998) am illegalen Ausbau und der Aufrüstung der Reichswehr, soll heißen, entgegen den Bestimmungen des Versailler Vertrages. In diesem Zusammenhang reiste Keitel 1931 mindestens einmal in die Sowjetunion, um geheime Ausbildungslager der Reichswehr zu inspizieren. Aufgrund der deutsch-sowjetischen Militärkooperation zwischen der Roten Armee und der Reichswehr (1920 – 1933) war es den Vorgängern der Hitlerwehrmacht möglich, sich mit Waffen und Gerät auf den kommenden Krieg vorzubereiten, was ihnen der Vertrag von Versailles eigentlich verboten hatte. Der (blutige) Treppenwitz dabei war, dass sich zahlreiche Teilnehmer dieser „Kriegsspiele“ auf den Schauplätzen des Zweiten Weltkrieges, eingeschlossen auf sowjetischem Boden, wieder trafen – als Gegner. Wilhelm Keitel war da wieder nur auf seiner Karriereleiter hochgeklettert, inzwischen war er Oberst. Aber gesund war das alles nicht für das „Arbeitstier“, wie ihn der Generalstabschef Generaloberst Franz Halder (1938–1942) nannte. Der Autor Gene Mueller beschrieb ihn „als gewissenhaften und fleißigen Stabsarbeiter“ (Gene Mueller: Wilhelm Keitel. Der gehorsame Soldat In: Ronald Smelser, Enrico Syring (Hrsg.): Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen. Berlin 1995, S. 254). Andere attestierten ihm ein „übersteigertes Pflichtbewusstsein“. So wurde er zum Kettenraucher, setzte starkes Übergewicht an, bekam Thrombosen und mehrere Herzattacken (siehe Sebastian Bretzner: Wilhelm Keitel — Verbrecher oder Offizier?, München 2003, GRIN Verlag). Quasi durch Krankheit außer Gefecht gesetzt, erlebte er die Machtergreifung seines künftigen Dienstherrn Adolf Hitler in einem in der Hohen Tatra gelegenen Sanatorium.
Im Oktober 1933 hatte ihn die Truppe wieder – als Artillerieführer III und stellvertretender Kommandeur der 3. Division (Hauptquartier in Berlin, Wehrkreis III). Allerdings sah Keitel mit dem Tod seines Vaters Carl am 10. Mai 1934 noch einmal die Chance, seinen Wunsch, Landwirt zu werden, verwirklichen zu können. Er reichte beim Chef der Heeresleitung, General Werner Freiherr von Fritsch, sein Abschiedsgesuch ein. Aber von Fritsch und Keitels Frau Lisa (geb. Fontaine, Heirat 1909) verbündeten sich gegen ihn und gewannen. Sein Berufskollege versprach ihm weitere Aufstiegschancen und seine Frau wollte lieber mit einem Offizier als mit einem Landwirt verheiratet sein. In der Folge bezog er als Generalmajor im Oktober 1934 die Stellung als Infanterieführer VI und Kommandant von Bremen, wo er mit der Aufstellung der 22. Infanteriedivision beauftragt war. Im Rückblick empfand der „Bauer in Generalsuniform“ die Bremer Zeit als die glücklichsten Jahre. Doch kaum ein Jahr später wechselte der General erneut den Dienstort: Ab dem 1. Oktober 1935 hatte er als Chef des Wehrmachtsamtes im Reichskriegsministerium anzutreten.
Im Februar 1938 sollte nun das für Keitel am Ende verhängnisvollste Kapitel seines Lebens beginnen: Als General der Artillerie stieg er zum Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) auf – aber sein Fall sollte tief sein, wie man weiß. Zunächst erfuhr er noch verhältnismäßig zügige Beförderungen zum Generaloberst (1. November 1938) und zum Generalfeldmarschall (19. Juli 1940). Was hat Keitel jedoch für das Amt des OKW-Chefs prädestiniert? In der Geschichte des deutschen Generalstabes von 1650–1945 von Walter Görlitz (BechtermünzVerlag, Lizenzausgabe Weltbild Verlag, 1997, Seite 330) liest sich das unter anderem so: „In der T 2 des alten Truppenamtes hatte er sich als gewissenhafter Sachbearbeiter bei Grenzschutzfragen und dann den Fragen des stillen Heeresaufbaus bewährt. Von Militärorganisation und Militärverwaltung verstand er ohne Zweifel viel und war damit vorzüglich geeignet, im OKW den Löwenanteil an ehemals ministeriellen Zuständigkeiten zu übernehmen“. Der damalige Generalleutnant war von seinem ausscheidenden Vorgesetzten, dem Reichskriegsminister Generalfeldmarschall Werner von Blomberg, Hitler gegenüber mit den Worten ins Gespräch gebracht worden, der sei nur Vorsteher seines Büros gewesen“. Der Führer hatte ihn zuvor nach einem Personalvorschlag für den Wehrmachtsstab gefragt. Darauf entgegnete Hitler: „Das ist ja gerade der Mann, den ich suche“ (siehe Gerd R. Ueberschär (Hrsg.) Hitlers militärische Elite, 3. Auflage, Theiss, Seite 115). Der Oberste Befehlshaber suchte halt einen unterwürfigen Ja-Sager. Besonders dieser blinde Gehorsam und sein fehlender Widerspruchsgeist brachten Keitel bei vielen seiner Standesgenossen in Misskredit. Tatsächlich war der „Berufene“ dem Amt des OKW-Chefs nicht gewachsen. Vernichtend war zum Beispiel das Urteil von Albert Speer über ihn: „Aus einem ehrenhaften bürgerlich-soliden General hatte er sich im Laufe der Jahre zu einem schmeichlerischen, unaufrichtigen, instinktlosen Diener entwickelt“. Hitler selbst wird die Äußerung zugeschrieben: „Keitel sei ein Mann mit dem Gehirn eines Kinoportiers“ (siehe Görlitz GFM Keitel, Seite 405). Etwas gnädiger ging Panzergeneral Heinz Guderian bei einer Vernehmung im Nürnberger Prozess mit ihm ins Gericht: „General Keitel ist im Kern ein anständiger Mensch. Er wurde von Hitlers Persönlichkeit absolut überwältigt und sah es als eine Pflicht an, alles, was Hitler sagte, zu billigen“ (siehe Richard Overy, Verhöre Die NS – Elite in den Händen der Alliierten 1945, Ullstein 2005). Auch der Stratege Generalfeldmarschall Erich von Manstein formulierte in seinen Memoiren ein paar Sätze über das OKW und seinen Chef: „Das OKW hatte Hitler von vornherein auf die Stufe eines militärischen Sekretariats herabgedrückt. Sein Chef Keitel wäre auch gar nicht in der Lage gewesen, Hitler strategisch zu beraten“ (siehe Erich von Manstein, Verlorene Siege, Bernhard & Graefe Verlag Bonn, 2004, 17. Auflage, Seite 153).
Letztendlich brachte die Unterschrift des Generalsekretärs (R.L., gemeint ist Keitel) unter zahlreiche verbrecherische Befehle und Weisungen ihn am Ende des Krieges in Nürnberg vor das Internationale Militärtribunal. Zur Last gelegt wurden ihm die Verschwörung und Planung eines Angriffskrieges, der Kommissarbefehl, der Nacht- und Nebelerlass, der Sühnebefehl, der Kommandobefehl, der Bandenbekämpfungsbefehl, die Ermordung von Kriegsgefangen, Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen und Zivilisten und anderes. Laut der Anklage war Keitel für die Verstrickung der Wehrmacht als Institution in die verbrecherischen Aktionen des NS-Regimes besonders verantwortlich. Nach dem Verfahren befand der Gerichtshof Keitel in allen vier Punkten der Anklage für schuldig: Urteil Tod durch den Strang. Und so starb er am 16. Oktober 1946 – erfüllt von Pflichterfüllung bis zum eigenen Untergang.