Militärisch versiert, moralisch gescheitert
René Lindenau beleuchtet das Leben von Erich von Manstein
Als Junge muss er ein ziemliches Leichtgewicht gewesen sein. Als „ausgesprochen zart“ sollte er sich später beschreiben. „Die gesunde – später im Kadettenkorps harte – Erziehung hat mich aber so weit gekräftigt, dass ich beim Eintritt in die Armee wenigstens bedingt tauglich war“. Der „bedingt Taugliche“ sollte es bis zum Generalfeldmarschall der Wehrmacht bringen: Erich von Manstein.
Frühzeitig waren seine besondere militärische Begabung sowie seine operativen und strategischen Fähigkeiten aufgefallen. Das wusste Manstein auch: „Bei manchen seiner Altersgenossen und vielen Ranghöheren im Offizierskorps war der fachlich überlegene Manstein nie sonderlich beliebt gewesen. Er galt als arroganter Besserwisser“. Adolf Hitler sollte ihn als seinen „fähigsten General“ bezeichnen. Von Oberst i. G. Johann Graf von Kielmansegg ist diese Aussage überliefert: „Er ließ andere ganz gerne merken, dass er klüger war“. Und sowjetischerseits schrieb man: „Für einige von uns war der gefährlichste die Kanaille Erich von Lewinski alias von Manstein (…)“. Bei Manstein hatte man es mit „einem scharfen strategischen Denker, dem letzten Zögling der klassischen Generalstabstradition“ zu tun.
Beginnen wir aber von vorn. Sein Leben begann Manstein am 24. November 1887 als zehntes Kind der Familie Lewinski. Da die Ehe seiner Tante Hedwig mit Major Georg von Manstein kinderlos blieb, wurde der Neugeborene nach dessen Taufe „vereinbarungsgemäß“ adoptiert. Später bekam das Einzelkind Erich noch eine Adoptivschwester Martha dazu. Ihre Kindheit im Hause Manstein, glaubt man den Schilderungen der Adoptivgeschwister, dürfte überaus glücklich gewesen sein. Der Adoptierte hielt auch weiterhin regelmäßig Kontakt zu den Lewinskis. Aufgewachsen war „Erli“ seinen eigenen Worten zufolge in der Welt des preußischen Soldatentums, sicher auch bedingt durch das familiäre Umfeld und seine Herkunft: Künftige Generäle haben ihn zur Adoption freigegeben beziehungsweise adoptiert und eine Tante Gertrud war mit Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg verheiratet. Sechzehn direkte Vorfahren der eigenen Lewinski-Linie und der von Mansteins haben als Generäle in preußisch-deutschen oder zaristisch-russischen Diensten gestanden. Daher dürfte es nicht verwunderlich sein, wenn Manstein davon sprach, das ihm „ein gewisses soldatisches Erbgut zuteil geworden ist“.
Nur folgerichtig dürfte deshalb sein Wunsch gewesen sein, von frühster Jugend an, wie seine Vorfahren dem König zu dienen. So begann er 1900 zunächst im kaiserlichen Kadettenkorps in Plön und an der Hauptkadettenanstalt Berlin Lichterfelde seine Soldatenkarriere. Als Fähnrich trat er 1906 in das 3. Garderegiment zu Fuß ein. Schon 1907 wurde er Leutnant. Ein Besuch der Berliner Kriegsakademie (1913–1914) verkürzte der Beginn des Ersten Weltkrieges: von der Akademie zur Front. Hier machte der Oberleutnant als Adjutant im 2. Garde-Reserve-Regiment erste Kriegserfahrungen. In der Schlacht um Namur (August 1914) erlebte er seine Feuertaufe. Danach wurde sein Korps zur Verstärkung der 8. Armee von General Paul von Hindenburg nach Ostpreußen verlegt. An der Ostfront kämpfte Manstein an den Masurischen Seen, an der Weichsel und in Russisch-Polen. Im November 1914 wurde der junge Offizier im Nahkampf schwer verwundet: „Im Handgemenge erhielt ich einen Schuss, der mich niederwarf. Mein getroffener Gegner fiel auf mich. Aber ehe er mir den Garaus machen konnte, erschoss den auf mir Liegenden einer unserer herbeigeilten Grenadiere. Auch mich traf ein zweiter Schuss ins Knie und lähmte mich“. Bei dem Stoßtrupp, zu dem sich der Krieger freiwillig meldete, ging es schon damals gegen die Russen. Seine Ankunft im Regimentsstab soll sein Kommandeur mit folgenden Worten quittiert haben: „Das haben Sie nun davon“. Ein halbes Jahr Lazarett und ein dauerhaft taubes rechtes Bein waren das Ergebnis.
Nach seiner Genesung wurde er im Juni 1915 zum Kriegsheimkehrer, fortan in Stabsverwendungen. Obwohl er kein ausgebildeter Generalstabsoffizier war, berief man den Hauptmann (befördert am 24. Juli 1915) in den Stab der Armeeabteilung Gallwitz (später 12. Armee). Als Stabsarbeiter war Manstein hier erstmals an der Planung und Vorbereitung strategischer Operationen beteiligt. Im Juli wechselte er den Kriegsschauplatz: Vom Balkan ging es an die Westfront zurück. Dort erhielt er die Stellung als Ordonnanzoffizier des Chefs des Stabes der neu zusammengestellten 1. Armee von Oberst Fritz von Loßberg. In diesem Aufgabenbereich bescheinigte man dem aufstrebenden Offizier ein bemerkenswertes taktisches Talent. Ab Oktober 1917 fand Manstein Verwendung als Erster Generalstabsoffizier in der im Baltikum eingesetzten 4. Kavallerie-Division, die vornehmlich Besatzungsaufgaben zu leisten hatte. In gleicher Funktion wechselte er im Mai 1918 noch zur 213. Infanteriedivision (Westfront). Dann war der Erste Weltkrieg fast zu Ende, den er dekoriert mit dem Eisernen Kreuz beider Klassen sowie mit dem Ritterkreuz des Königlichen Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern abschloss.
Folgerichtig war seine Übernahme in die per Versailler Vertrag auf 100.000 Mann geschrumpfte Reichswehr. Man trug weiter Uniform. Ganz konfliktfrei verlief Mansteins Übergang vom Kaiserreich in die Republik jedoch nicht, war er doch 1905 als Leibpage der russischen Großfürstin Wladimir bei der Hochzeit des Kronprinzen Wilhelm dabei und hatte im Folgejahr die Silberne Hochzeit des Kaiserpaares miterlebt. Das prägt natürlich. Seine Reserviertheit gegenüber der Republik teilte Manstein mit vielen Vertretern seiner Klasse. Aber man arrangierte sich: „Hatte die Form gewechselt – mochte die neue uns gefallen oder nicht – es war unser Deutschland, unser Volk, dem wir zu dienen zu hatten“.
Neben allem Militärischen blieb dem „Nur-Soldaten“ auch Zeit für Privates. Anfang 1920 lernte Manstein die 19jährige Jutta Sibylle von Loesch (1900–1966) kennen, eine dunkelhaarige, zarte Schönheit. Drei Tage später machte er ihr einen Antrag und im Juni 1920 läuteten die Hochzeitsglocken. Erst der Tod seiner Frau hat die Ehe, die als außerordentlich glücklich galt, geschieden. Drei Kinder setzten sie in die Welt, ihr Sohn Gero fiel mit 19 Jahren 1942 als Leutnant an der Ostfront. Bei Mozart, in Sprachen, Geschichtsbüchern und bei der Gartenarbeit und einer guten Zigarre konnte er Entspannung finden. Ebenso wurde Manstein nachgesagt, ein guter Schachspieler gewesen zu sein.
Bezeichnend für seine Persönlichkeit war unter anderem dieser Vorfall: „Als er Ende 1923 zum Wehrkreiskommando Stettin wechselte und sich im Wohnungstausch benachteiligt fühlte, beschwerte er sich nicht bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten, sondern gleich beim Chef der Heeresleitung. Das brachte ihm nicht nur eine Woche Stubenarrest ein, auch seine Beförderung zum Major wurde zurückgestellt (Major wurde dann Anfang 1928).“ Der spätere General Siegfried Westphal berichtete aus dieser Zeit: „Manstein war ein großzügiger Vorgesetzter, ein vollkommener Gentleman, aber ein unbequemer Untergebener“ .
Nach dem Ersten Weltkrieg machte Manstein zunächst Einsatzerfahrungen beim Grenzschutz Oberkommando Süd, danach im Stab des Gruppenkommandos II mit Sitz in Kassel. Endgültig am 1. Januar 1921 in die Reichswehr übernommen, wurde Manstein am 1. Oktober Kompaniechef des Infanterie-Regiments 5 in Angermünde. Danach wurde er wiederum als Stabsoffizier eingesetzt; ab Oktober 1923 im Wehrkreiskommando II (Stettin) und anschließend im Wehrkreiskommando IV (Dresden). Hier war das „operative Wunderkind“ als Lehrer für Taktik und Militärgeschichte mit der Führergehilfenausbildung (Tarnname für die Generalstabsausbildung, die nach den Bestimmungen von Versailles der Reichswehr verboten war) betraut. Vom 1. Oktober 1927 bis zum 1. September 1929 tat er Dienst als Stabsoffizier beim Infanterieführer IV in Magdeburg. Die nächstfolgende Anschlussverwendung fand er im Truppenamt des Reichswehrministeriums. Dort war er mit der Leitung der Gruppe I in der Abteilung T1 (T1 entsprach der Operationsabteilung eines Generalstabes) betraut, die sich mit Aufmarsch- und Operationsplänen befasste. Er überprüfte die Mobilmachungspläne der Organisationsabteilung, deren Leiter Oberstleutnant Wilhelm Keitel war. Manstein konnte dem Ranghöheren bei der Prüfung seiner Mobilmachungspläne Mängel und eklatante Schwächen nachweisen. Dazu erarbeitete er Gegenvorschläge, die von den Vorgesetzten angenommen wurden. Auf diese Weise wurde Keitel zur Nacharbeit gezwungen. Wohl damit begann eine Konfliktlinie zwischen Keitel und Major von Manstein, die über die Entlassung (1944) des Prüfers hinaus weiterlaufen sollte. Seitdem sollte zwischen beiden Offizieren ein „Verhältnis gegenseitiger Abneigung“ herrschen. Andere Quellen sprechen in Bezug auf den künftigen Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), Generalfeldmarschall Keitel, von „devoter Unfähigkeit“ oder von „Mittelmaß“.
Als besonders bedeutsame Ereignisse im Arbeitsleben des Militärs eingruppieren darf man zwei Besuche in Stalins Sowjetunion. Mit dem Chef des Truppenamtes Generalmajor Wilhelm Adam unternahm er Reisen nach Moskau, Charkow und Kiew, im September 1932 wohnte er mit acht Wehrmachtoffizieren einer Truppenübung im Transkaukasischen Militärbezirk bei. Dabei lernte der Reisende Spitzen der Roten Armee kennen, darunter die Marschälle (jeweils ab 1935) Michail Tuchatschewski und Alexander Jegorow. Beide fielen schon vor dem bevorstehenden deutsch-sowjetischen Krieg aus, denn Stalin hatte sie selbst im Zuge der Enthauptung der Roten Armee über die Klinge springen lassen (1937 bzw. 1939).
Am 1. April 1931 wurde Manstein Oberstleutnant und wechselte turnusgemäß zum 1. Oktober 1932 wieder in den Truppendienst. Diesmal befehligte er das II. Jägerbataillon des 4. (Preußischen) Infanterie Regiments in Kolberg. Als Bataillonschef erhielt er am 1. Oktober 1933 die Beförderung zum Oberst. Mit dem 1. Februar 1934 wurde Manstein zum Stabschef beim Wehrkreiskommando III in Berlin ernannt. Der Chef des Wehrkreises war der spätere Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben, der als Mitglied des militärischen Widerstandes nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler 1944 durch das Fallbeil starb. Um hier vorzugreifen: Mehrfach unternahm man den Versuch, Manstein für den militärischen Widerstand zu gewinnen. Seine Antwort war: „Preußische Generalfeldmarschälle meutern nicht“. Daher nicht verwunderlich seine Aussage, die Tat des 20. Juli sei eines Offiziers nicht würdig. Letztlich blieb Manstein dem Eid auf Hitler bis zum Schluss treu und damit einer seiner willigen Vollstrecker. Nicht zuletzt deshalb lautet das Urteil seiner Kritiker: militärisch versiert, aber moralisch gescheitert.
Doch eine widerständige Aktion, zu der unbestritten Zivilcourage gehörte, ist mit Mansteins Namen verbunden. Der „Arierparagraph“ bot ihm den Anlass, sich am 21. April 1934 protestierend an den Chef des Truppenamtes Generalleutnant Ludwig Beck zu wenden. In einer Denkschrift setzte er sich für einen bereits entlassenen Leutnant ein, der als „Vierteljude“ nicht mehr die Uniform tragen sollte. Der Beschwerdeführer erreichte, dass jener Klaus von Schmehling-Dringshofen bis zu ihrer Auflösung in die chinesische Militärmission eingegliedert wurde, im Polen-Feldzug ist er dann gefallen. Als der erzürnte Minister Generalfeldmarschall Werner von Blomberg das Schriftstück auf den Tisch bekam, forderte er Disziplinarmaßnahmen gegen den Ungehorsamen, die jedoch wurden vom Chef der Heeresleitung, Generaloberst Werner von Fritsch, nicht durchgesetzt. Trotzdem sollte man sich keine Illusionen über eine plötzliche „Judenfreundlichkeit“ Mansteins machen. So mahnte der Protestler, nicht die „Soldatenehre zu vergessen, die uns bisher unlöslich aneinander gekettet hat“. Ausdrücklich wandte er sich nur gegen die rückwirkende Anwendung des Paragraphen. Wie konsequent Manstein dabei war, sollten seine schuldhaften Verstrickungen an Verbrechen gegen Juden und die Zivilbevölkerung überhaupt in seinen Operationsgebieten (Polen, Sowjetunion) offenbaren. Eingegangen sei in diesem Zusammenhang auf das Agieren der 11. Armee, die er im Russland-Feldzug befehligte: „Die Kooperation von SD und Wehrmacht bei der Ermordung von Zivilisten und Kriegsgefangenen hatte sich bei der 11. Armee bereits eingespielt, als Manstein dort eintraf. Anfang Januar 1942 belief sich die Zahl der jüdischen Opfer der SD-Einsatzgruppe D unter SS-Gruppenführer Otto Ohlendorf auf der Krim bereits auf 23.000. Mansteins Truppen halfen beim Judenmord durch Bereitstellen von Fahrzeugen, Absperr- und Exekutionskommandos. (…) In Simferopol etwa verlangte das AOK 11 vom SD Anfang Dezember 1941, die erst für das Frühjahr geplante Exekution von 10.000 Juden noch vor Weihnachten durchzuführen, um angesichts der zu erwartenden Hungersnot deren Lebensmittel auf die übrige Bevölkerung verteilen zu können.“. Das war ganz im Sinne des Armeebefehlshabers. In einem Befehl vom 20. November 1941 verlangte er von seiner Truppe Verständnis für „die Notwendigkeit der harten Sühne am Judentum, dem geistigen Träger des bolschewistischen Terrors“. Zudem ist bezeugt, dass der Feldherr mehrfach von zuverlässiger Seite von den Massenmorden des SD informiert war, aber untätig blieb, wenn es darum ging, diesem Terror Einhalt zu gebieten. Leugnen ist also zwecklos.
Fraglich ist nur, ob ein derartiges Verhalten eines langjährigen Generalstabsoffiziers wie Erich von Manstein würdig war. Denn im Handbuch für den Generalstabsdienst im Kriege von 1939 heißt es: „Der Generalstabsoffizier soll ein Höchstmaß an Charakterstärke und Taktgefühl besitzen“. Wie lassen sich solche Eigenschaften mit der Teilnahme an Raub- und Vernichtungskriegen und mit der Verantwortung für den Tod zahlloser Angehöriger der Zivilbevölkerung vereinbaren?
Kehren wir noch einmal in die Vorkriegszeit zurück. Zum 1. Juli 1935 wurde Manstein in den Generalstab des Heeres befohlen. Hier erhielt er die Berufung zum Chef der Operationsabteilung. Im Oktober 1936 wurde der frisch beförderte Generalmajor zum Oberquartiermeister I ernannt, erster Gehilfe und Vertreter des Generalstabschefs Ludwig Beck – und damit dessen designierter Nachfolger. Fortan arbeitete der Hoffnungsträger auf das Amt des Generalstabschefs am Ausbau des Kriegsheeres mit. Des Weiteren befasste er sich mit Vorbereitungen für die Okkupation Österreichs und mit Überlegungen über die Spitzengliederung der Wehrmacht im Kriegsfall. Aber die Blomberg-Fritsch-Affäre sollte den Karrierewunsch des Generalstäblers unerfüllt lassen. Hitler nutze diese Affäre, um sich von einer Reihe ihm missliebiger Offiziere zu trennen. Überraschenderweise gehörte Manstein dazu. Zu gerne hätte er sich in einer Reihe mit Moltke d. Ä. und Schlieffen gesehen. Der Autor Marcel Stein mutmaßt in seinem Buch: „Allerdings hätte er es in der Verwendung als Generalstabschef vermieden, in eine Reihe von Kriegsverbrechen verwickelt zu werden“. Frostig verlief die Amtsübergabe an den neuen Oberquartiermeister I, General Franz Halder: Demnach drückte ihm Manstein den Schlüssel für den Panzerschrank in die Hand und sagte ihm schroff: „So, das können Sie sich durchlesen. Auf Wiedersehen“, drehte sich um und ließ Halder stehen. Die neue Lage bedeutete nun: Der Weg auf den Generalstabschefposten war verbaut, dafür eröffnete sich für Manstein die Chance, ein erfolgreicher Heerführer zu werden, der sich auch beim Gegner (rein militärfachlich betrachtet) Respekt und Anerkennung erwarb. Mit Wirkung vom 4. Februar 1938 übertrug man dem verhinderten Generalstabschef die Befehlsgewalt über die 18. Division im schlesischen Liegnitz. Aber noch im März war Manstein im Auftrag des Oberkommandos der Wehrmacht an der Vorbereitung des Einmarsches deutscher Truppen in Österreich und der Eingliederung des österreichischen Bundesheeres in die Wehrmacht beteiligt. In Folge des Münchener Abkommens nahm seine 18. Division an der Besetzung des Sudetenlandes teil.
Den Zweiten Weltkrieg begann er im Rang eines Generalleutnants als Chef des Generalstabes der Heeresgruppe Süd. Auf dem Operationsplan stand der Überfall auf Polen. Anschließend erarbeitete Manstein den Angriffsplan für den Westfeldzug, der als Sichelschnittplan bekannt wurde. „Sichelschnitt“ bahnte deutschen Panzerverbänden 1940 den Weg durch die angeblich unwegsamen Ardennen zur Kanalküste. Wegen seines Anteils am Erfolg des Frankreich-Feldzuges wurde Manstein erneut befördert, zum General der Infanterie, und er bekam das Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz.
Das „Unternehmen Barbarossa“, der Überfall auf die Sowjetunion, brachte ihm zunächst das Kommando über ein Panzerkorps, das, so formulierte es der Memoirenschreiber in seinen Erinnerungen „Verlorene Siege“, die Erfüllung eines Wunschtraums war. Mit seinen Panzerverbänden stieß er durch die baltischen Staaten bis Leningrad vor. An diesem Punkt muss man erneut auf die Verantwortung des Heerführers für Kriegsverbrechen eingehen. Denn entgegen seiner Behauptungen in seinen Erinnerungen, „dass er den ‚Kommissarbefehl‘ abgelehnt habe und ihn seine Truppen nicht ausführten“, kam es schon in den ersten Wochen nach Beginn des Unternehmens Barbarossa zu „Erschießungen von Kommissaren sowie antijüdischen Aktionen in Mansteins Befehlsbereich“ – so Olivier Wrochem.
Im weiteren Kriegsverlauf mit Mansteins Beteiligung folgten (Beförderung zum Generaloberst im März 1942) Einsätze gegen die Halbinsel Kertsch (Unternehmen Trappenjagd) und die Eroberung der Festung Sewastopol. Die nach zwei Anläufen erfolgreiche Festungseroberung brachte ihm am 1. Juli den Rang eines Generalfeldmarschalls ein. Weniger erfolgreich war sein militärisches Handeln als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Don in der Schlacht um Stalingrad. Der Versuch, der eingekesselten 6. Armee wirksam zu helfen, schlug fehl. Im März 1943 gelang Manstein in der Schlacht um Charkow die Rückeroberung der Stadt. Doch in der Panzerschlacht im Kursker Bogen ging die strategische Initiative vollends in die sowjetische Hand über. Ab 1943/44 ging es für die deutsche Wehrmacht nur noch zurück. Der Krieg kehrte heim nach Deutschland, daran konnte auch ein Manstein nichts ändern. Jedenfalls wurde er als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd am 30. März 1944 von Hitler empfangen. Dabei wurde der „Marschall Rückwärts“ (Joseph Goebbels) entlassen, nicht ohne ihm noch die Schwerter zum Eichenlaub des Ritterkreuzes zu verleihen.
Versetzt in die „Führerreserve“, bekam der „Marschall ohne Verwendung“ bis zum Kriegsende kein Kommando mehr. Statt eines erneuten Kriegseinsatzes erwarteten ihn Kriegsgefangenschaft und ein Prozess vor einem britischen Militärgericht (1949). Ein gewisser Winston Churchill unterstützte die Verteidigung des deutschen Generalfeldmarschalls finanziell. Vom 23. August 1949 bis zum 19. Dezember saß man über ihn zu Gericht. Am Ende wurde der Angeklagte in acht Punkten freigesprochen und in neun Punkten für schuldig befunden. Als schuldhaft erkannte das Gericht unter anderem die Vernachlässigung der Vorgesetztenverantwortlichkeit als zuständiger Oberbefehlshaber. An den Verbrechen in Polen konnte man ihm keine aktive Beteiligung nachweisen, aber die Vernachlässigung der Aufsichtspflicht als Oberbefehlshaber und damit den Völkermord mitgetragen zu haben, bleibt auch hier seine Schuld. Die Herabsetzung der Haftstrafe auf zwölf statt der ursprünglich 18 Jahre, Haftverschonung und die schließlich vorzeitige Entlassung (1953) wegen guter Führung (!) ließen den Feldmarschall wieder zum freien Mann werden.
In Freiheit betätigte sich der Wehrmachtveteran mit Marschallstab bis 1960 als militärischer Berater und ziviler Aufbauhelfer der Bundeswehr. Als er am 10. Juni 1973 starb, wurde er mit militärischen Ehren und mit Abschiedsworten des damaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr, Admiral Armin Zimmermann, beigesetzt.
Zum Abschluss sei noch ein Satz aus einem Artikel des israelischen Militärhistorikers Oberst Prof. Jehuda Wallach für das Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte, Universität Tel Aviv, 4/1975, zitiert: „Wenn Feldherrentum überhaupt geteilt werden kann, dann war Manstein wahrscheinlich ein guter Fachmann und Experte, aber zweifellos war er ein kleiner Mensch“.
Guido Knopp, Hitlers Krieger, Bertelsmann 1998, Seite 170
Kyrill Kalinow Le Marchréchaux Sovietiques vous parlent, Paris 1950, Seite 236f
Walter Görlitz, Geschichte des deutschen Generalstabes 1650 – 1945, Bechtermünz Verlag, Seite 363ff
Zeitschrift Militär&Geschichte Extra, Sonderheft 4, Manstein und der Russland-Feldzug, Seite 11
Guido Knopp, Hitlers Krieger, Bertelsmann Verlag 1998, Seite 166
Jan von Flocken, Krieger Schicksal Von Hannibal zu Manstein, Feldherren Band 1, Kai Homilius Verlag 2006, Seite 186
Lemay, Benoît (2010). Erich von Manstein: Hitler’s Master Strategist. Heyward, Pierce (trans.). Havertown, PA; Newbury, Berkshire: Casemate. S. 16
Jan von Flocken, Krieger Schicksal, Von Hannibal zu Manstein, Feldherren Band 1, Kai Homilius Verlag 2006, Seite 187
Guido Knopp, Hitlers Krieger, Bertelsmann Verlag 1998, Seite 170
Trevor N. Dupuy, Der Genius des Krieges Das deutsche Heer und der Generalstab 1807 – 1945, Ares Verlag, 2. Auflage, 2011, Seite 361
Olivier von Wrochem, Erich von Manstein: Vernichtungskrieg und Geschichtspolitik, Ferdinand Schöningh Verlag, 2. Auflage 2009, Seite 37
Guido Knopp, Hitlers Krieger, Bertelsmann Verlag 1998, Seite 172
Gerd R. Ueberschär (Hrsg.) Hitlers militärische Elite, 68 Lebensläufe, THEISS Verlag, 3. Auflage, Generalfeldmarschall Erich von Lewinski, genannt von Manstein, Seite 417/418
Geoffrey P. Megargee, Hitler und die Generäle — Das Ringen um die Führung der Wehrmacht 1933 1945, Ferdinand Schöningh Verlag 2006, Seite 8
Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Hitlers militärische Elite, 68 Lebensläufe, THEISS Verlag, 3. Auflage, Generalfeldmarschall Erich von Lewinski, genannt von Manstein, Seite 416
Generalfeldmarschall Erich von Manstein — Kritische Betrachtung des Soldaten und Menschen. Erschienen bei von Hase&Koehler 2000, Seite 32
„Erich von Manstein: Vernichtungskrieg und Geschichtspolitik, Ferdinand Schöningh Verlag, Seite 53